Nach über 50 Jahren aktiver Mitarbeit im Verband und einer illustren Karriere innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft, in der er neben seiner Berufung als Institutsleiter zahlreiche andere Funktionen erfüllte, wird Erwin Sommer als Vordenker und Pionier der Bruchmechanik in Deutschland geehrt. Die Bruchmechanik befasst sich mit der Entstehung und Ausbreitung von Rissen in Bauteilen und deren Berechenbarkeit. In vielen Industriebereichen, in denen Bauteile hohen Belastungen ausgesetzt sind, spielt die Bruchmechanik eine entscheidende Rolle, um die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Lebensdauer von Bauteilen bewerten und vorhersagen zu können.

Während eines Forschungsaufenthalts in den USA an der Lehigh University in Bethlehem, Pennsylvania, Mitte der 60er Jahre, erkannte Sommer das Anwendungspotenzial dieser damals noch neuen wissenschaftlichen Disziplin. Nach seiner Rückkehr wendeten er und seine Kollegen im Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI die Konzepte zunehmend auf technische Fragestellungen auch aus der Industrie an. Auch im Deutschen Verband für Materialforschung und -prüfung e. V. (DVM) wurde für das Konzept geworben und so wurde Ende 1969 der »Arbeitskreis Bruchvorgänge« unter der Schirmherrschaft des DVM gegründet.

Die Einführung der Bruchmechanik als Geburtsstunde eines Fraunhofer-Instituts

Auf der wissenschaftlichen Basis der Bruchmechanik wurde 1971 das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg gegründet. Seither ist die Bruchmechanik eine tragende Säule des Instituts. In Wasserstofftechnologien, in der Fahrzeugtechnik, im Maschinenbau; überall, wo die Auswirkungen komplexer und extremer Beanspruchungen auf die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Lebensdauer von Bauteilen bewertet werden müssen, sind bruchmechanische Konzepte – auch in Verbindung mit künstlicher Intelligenz und der Digitalisierung – gefragt.

Die Ernennung zum DVM-Ehrenmitglied schließe für ihn persönlich einen Kreis, der vor über 60 Jahren begann, so Sommer. Der damalige Stand der Forschung und die Anforderungen aus der Industrie waren der Ansporn, die Bruchmechanik wissenschaftlich zu untermauern und praktisch zu verwerten: »Anfänglich gab es hauptsächlich phänomenologische Lösungsansätze, die mir als Physiker unzulänglich schienen. Auch seitens der Industrie wurde bemängelt, dass die vorhandenen theoretischen Ansätze der Festkörperphysik und -mechanik äußerst praxisfern waren und somit keine anwendbaren Lösungen darstellten«, erinnert sich Sommer. Umso faszinierender sei es, heute auf die Entwicklungsschübe zu blicken, die es im Bereich der Materialforschung und -bewertung innerhalb dieser 60-jährigen Zeitspanne gegeben hat. »Der enorme Beitrag, den die Computersimulation hierzu beigetragen hat, hätte man damals als Illusion abgetan. Heute wissen wir, dass dieses Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist und dass beispielsweise bereits durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz bisher vollkommene verschlossene Welten geöffnet werden können.« Für Sommer ist klar: Der Reiz und die Vielfalt der Probleme, die der materialwissenschaftlichen Welt bevorstehen, bieten die Möglichkeit für eine gesunde Basis des DVM, und eine fruchtbare Zukunft.

Sommers Erbe ist heute noch deutlich im Geschehen am Fraunhofer IWM zu spüren, sowohl hinsichtlich der Forschung und Entwicklung, die dort betrieben wird, als auch in der Unternehmenskultur, die nachhaltig von seiner persönlichen und ruhigen Art geprägt ist. »Die Ehrenmitgliedschaft des DVM für Prof. Erwin Sommer ist eine ganz besondere Auszeichnung, auch für die Fraunhofer-Gesellschaft«, erläutert Prof. Peter Gumbsch, Institutsleiter des Fraunhofer IWM. »Prof. Sommer hat nicht nur die Bruchmechanik als wissenschaftliche Disziplin in Deutschland eingeführt, sondern mit dem Aufbau des Fraunhofer IWM gezeigt, wie der Transfer von grundlagenorientierter Werkstoffforschung in die industrielle Praxis gelingt.«

Link zur Presseinformation (PDF)

nach oben