Entwicklung von programmierbarem Materialverhalten auf der Meso- und Mikroskala

Programmierbare Materialien

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Metamaterial mit Strukturierung auf der Mikroskala

Komplexer werdende Anforderungen an das Materialverhalten bringen die klassischen Konzepte der Materialauswahl und –auslegung an ihre Grenzen. Im Fraunhofer Cluster of Excellence Programmable Materials CPM forschen wir zusammen mit weiteren Fraunhofer-Instituten an sogenannten „Programmierbaren Materialien“, die sich an Umgebungsbedingungen adaptieren, klassische Systemansätze ersetzen oder zwischen verschiedenen Eigenschaften geschalten werden können. 

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3D-gedruckte Mikrostrukturen auf Oberflächen mittels Nanoscribe (2-Photonen-Polymerisation) zur gezielten Einstellung der Benetzbarkeit.

Entwicklung von programmierbarem Materialverhalten auf der Meso- und Mikroskala

Mechanische Metamaterialien bestehen aus homogenen Werkstoffen, deren makroskopische Eigenschaften durch eine mesoskalige (µm-cm) Strukturierung aus sogenannten Einheitszellen gezielt eingestellt werden. Die Eigenschaften (z.B. Steifigkeit, Querdehnungszahl, Dämpfung, thermische Ausdehnung, Benetzbarkeit) können sich dadurch sehr von den Eigenschaften des entsprechenden Vollmaterials unterscheiden und sogar Werte annehmen, die so in der Natur nicht vorkommen (negative Poisson’s Zahl, also auxetisches Verhalten).

In programmierbaren Materialien ist die Mesostruktur nicht mehr statisch, sondern verändert sich unter bestimmten Randbedingungen oder durch einen äußeren Stimulus reversibel. Diese Verformung bringt die Einheitszelle in einen anderen Zustand mit anderen Eigenschaften. So kann zum Beispiel ins Material einprogrammiert werden, dass ab einer bestimmten Dehnung die Steifigkeit abrupt um ein Vielfaches ansteigt oder dass durch eine gezielte Einstellung der Energielandschaft das Material ein bistabiles Verhalten zeigt. Des Weiteren kann eine Verteilung von geometrischen Parametern (Gradient) im Material vorgenommen werden, um die Funktionalität eines makroskopischen Bauteils zu optimieren. So können Kombinationen von Bauteileigenschaften für Ihre Produkte und Komponenten erzielt werden, die mit herkömmlichen Vollmaterialien nicht erreichbar sind.

Unsere Leistungen:

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Additiv hergestellte Einheitszellen und Zellverbünde. Rechts: Filament-3D-Druck, Mitte: Stereolitografie, Links: 2-Phontonen-Litographie.

Design und Entwicklung von Metamaterialien und Einheitszellen 

Materialverhalten, das wir hiermit ermöglichen ist: gezielte Formänderung bei äußerer Belastung (z.B. für anpassbare Oberflächen), Steuerung der Fluiddämpfung (insbesondere in Abhängigkeit von Temperatur und Geschwindigkeit), schaltbare Steifigkeit (z.B. für Softrobotik, Orthesen) und eine einstellbare Benetzbarkeit (selbstreinigende Oberflächen).

Beim Material Design können lokale sowie globale Effekte durch eine hierarchische Strukturierung aus Elementarzellen eingebaut werden. Hierfür entwickeln wir Einheitszellen und Arrays in denen mechanische Mechanismen (Kontakt, Rotation, Beulen, Fluidreibung…) eingebaut sind. Diese können aus einem Monomaterial (z.B. PLA oder TPU) oder mehreren Grundmaterialien bestehen. Ersteres ist insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit von Vorteil, letzteres erlaubt es uns auch funktionale Materialien einzubauen und responsives Verhalten mit Triggern wie Temperatur (siehe Video 1), Geschwindigkeit oder Magnetfeld zu steuern oder Effekte von Smart Materials, wie Formgedächtnispolymere zu verwenden. Weiter können insbesondere Symmetrien und das gezielte Einbauen von Anisotropien in Balken- oder Schalenstrukturen zu außergewöhnlichen Eigenschaften führen. Hierbei können Instabilitäten (gezieltes Beulen oder Knicken) ausgenutzt werden, um beispielsweise geschichtsabhängiges Verhalten (Speicherung von Deformationen) zu erzeugen. Die fertigen Einheitszellen können nicht-lineare oder lineare Funktionen (z.B. Querdehnung als Funktion der Dehnrate) ausführen und konditionale Bedingungen (wenn-dann) erfüllen. Diese lassen sich im idealen Fall wie Funktion in einem Algorithmus kombinieren.

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Mit numerischen Methoden können der Einfluss von unterschiedlichen Einheitszellen und Parameterverteilungen auf das makroskopische Materialverhalten untersucht werden.

Modellierung und digitale Abbildung von Metamaterialien

Für eine systematische Entwicklung der Materialien nutzen wir analytische und numerische Methoden (z.B. Finite Element Methode, FE), um Verhalten vorherzusagen und das Design der Geometrie bzw. Topologie der Einheitszelle zu beschleunigen. Hierbei ermöglichen uns im CPM entwickelte Tools eine digitale Abbildung der Materialien. Die verwendeten Multiskalensimulation auf Basis von Homogenisierung erlaubt eine Optimierung derer Mesostrukturen. So können die Materialien an anwendungsspezifische Randbedingungen angepasst werden und die Funktionalität verschiedener Parameterverteilung oder Einheitszellen vor der Fertigung numerisch überprüft werden.  

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Ausschnitt einer Struktur aus 3x4 Einheitszellen, die bei 95°C beginnt ihre Form selbständig zu verändern

Prototypische Herstellung (3D-Druck) 

Die entworfenen Einheitszellen und Materialien können wir als Prototypen durch 3D-Druck (siehe Abbildung 2) auf verschiedenen Größenskalen herstellen. Unsere Möglichkeiten der additiven Fertigung reichen vom Druck auf der Mikrometerskala (2-Photonen-Poylmerisation), über die Millimeterskala (Stereolitografie) bis hin zur Makroskala (Filament-Druck). Der Einsatz verschiedener Polymere, ermöglicht es uns die Eigenschaften der Strukturen nicht nur durch die Geometrie, sondern durch eine Kombination aus Geometrie und Charakteristika der Grundmaterialien (z.B. Steifigkeit, Glaspunkt o.ä.) einzustellen. Weitere Herstellungsmöglichkeiten, die wir mit unseren Partnern weiterentwickeln und nutzen sind das Tiefziehen von Origami- und Faltstrukturen, 4D-Druck und Laser Powder Bed Fusion (LPBF).

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Quasistatische Drückprüfung an einem mechanischen Metamaterial mit dehnungsabhängiger Steifigkeitsänderung gefertigt im SLM-Verfahren aus Nitinol.

Charakterisierung und Bewertung der Zuverlässigkeit

Die Lebensdauer der oben beschriebenen Materialien ist nun nicht mehr allein vom Grundwerkstoff, sondern auch vom Versagen der einzelnen Mechanismen abhängig. Bei der Untersuchung von programmierbaren Materialien unterscheiden wir daher zwischen dem Schaltbarkeitsverlust, gefolgt von dem Ausfall der Funktionalität sowie dem Bauteilversagen. In einigen Anwendungen müssen programmierte Materialien gar nicht oder nur sehr selten umgeschaltet werden, in anderen sehr häufig. Daher kann sich die Zyklenzahl der Belastung von der Schaltzyklenzahl stark unterscheiden. Unter dem Ausfall der Funktionalität verstehen wir den irreversiblen Verlust der programmierten Funktion durch das Versagen der Mechanismen. Hierzu zählt beispielsweise der Verschleiß an Kontaktflächen, der Formverlust durch Spannungsrelaxation in Polymeren oder das Versagen einzelner Stege/Balken. Der Ausfall einer einzelnen Einheitszelle führt bei einem Aufbau aus vielen Einheitszellen dabei nicht zwangsläufig zu einem Ausfall der Gesamtfunktion. Somit kann die Verwendung einer großen Anzahl von Einheitszellen zu einem resilienten Materialverhalten führen. Zusätzlich zu den designabhängigen Faktoren gibt es Effekte aus der Fertigung und von den verwendeten Grundmaterialen. Insbesondere betrachten wir bei additiv gefertigten Bauteilen den Einfluss von Fertigungsfehlern (Poren, Materialanhäufungen) und Toleranzen.

Quasistatische Drückprüfung an einem mechanischen Metamaterial mit dehnungsabhängiger Steifigkeitsänderung gefertigt im SLA-Verfahren (Photopolymer).

Hierfür entwickeln wir mikromechanische Charakterisierungsmethoden, um eine dauerhafte Funktionalität sicherzustellen. Häufig entsprechen die makroskopischen Geometrien der Proben oder Demonstratoren der programmierbaren Materialien nicht den Normprüfkörpern. Daher entwickeln wir angepasste Prüfaufbauten zur mechanischen Charakterisierung. Dies betrifft allgemein die Anpassung zur Durchführung von klassischen Zug-Druck-Prüfungen unter quasistatischer, dynamischer und zyklischer Belastung. Die Entwicklung eines Prüfstandes zur Messung des Fluidwiderstands von eingetauchten und dynamisch belasteten Strukturen bei unterschiedlichen Temperaturen (20°-100°) ermöglicht uns des Weiteren die Charakterisierung von Metamaterialien zur Fluiddämpfung. Ebenso realisieren wir für thermomechanisch beanspruchte programmierbare Materialien maßgeschneiderte Prüfmethoden bei Nutzung unserer Öfen im Mikromechaniklabor.

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Warum sollte mein Unternehmen mit dem Fraunhofer IWM bei Entwicklung von programmierbarem Materialverhalten auf der Meso- und Mikroskala zusammenarbeiten?

Die Entwicklung dieser neuartigen Materialien wird insbesondere mit interdisziplinärerer Zusammenarbeit vorangetrieben. Im Fraunhofer Cluster of Excellence Programmierbare Materialien CPM, einem Cluster aus verschiedenen Fraunhofer Instituten arbeiten wir daran mit programmierbaren Materialien industrielle Problemstellungen zu lösen. Hierbei kann es um die Verbesserung von alltäglichen Produkten wie Schuhen, Matratzen oder Sitzen gehen bei den durch eine Anpassung der Komfort (Form, Dämpfung) erhöht wird gehen. Andererseits können programmierbare Materialien auch in komplexen Systemen einen Mehrwert durch die Reduktion der Bauteile oder die Vergrößerung des Einsatzbereichs bringen. Hierbei sind zum Beispiel formadaptive Verbindungskomponenten zur Spannungsreduktion oder die Integration von Programmierbaren Materialien in Orthesen ein Forschungsthema. Die Kombination aus einprogrammierbarer Responsivität auf äußere Stimuli und gezielt designbarer Aktuatorik durch eine unmittelbare Form- oder Eigenschaftsänderung erschließt darüber hinaus auch Anwendungen im Bereich der Sensorik und Aktuation. Hierbei können perspektivisch aufwendige Systeme zur Signalverarbeitung ersetzt werden.

Ein weiteres Forschungsfeld sind bioinspirierte programmierbare Materialien. Hier sind wir im BMBF-Projekt gemeinsam mit der Universität Freiburg (LivMats Cluster, IMTEK), den Firmen Phoenix und Festo dabei neue Möglichkeiten der Stoßdämpfung mit Hilfe von programmierbaren Materialien zu erforschen.

Sie denken Programmierbare Materialien können für Ihr Produkt oder Ihre Anwendung einen Mehrwert bieten? Sprechen Sie uns gerne an. Eine Zusammenarbeit kann von gemeinsamen Forschungsprojekten bis hin zu Forschungsdienstleistungen reichen.

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Publikationen

  • Wenz, F.; Schönfeld, D.; Fischer, S.C.L.; Pretsch, T.; Eberl, C., Controlling malleability of metamaterials through programmable memory, Advanced Engineering Materials,  3/2 (2023) Art. 2201022, 10 Seiten; 91/2022 Link
  • Lichti, T.; Leichner, A.; Andrä, H.; Müller, R.; Wenz, F.; Eberl, C.; Schwarz, A.; Hübner, C., Optimal design of shape changing mechanical metamaterials at finite strains, International Journal of Solids and Structures,  252/ (2022) Art. 111769, 17 Seiten; 71/2022 Link
  • Schwarz, A.; Lichti, T.; Wenz, F.; Scheuring, B.M.; Hübner, C.; Eberl, C.; Elsner, P., Development of a scalable fabrication concept for sustainable, programmable shape-morphing metamaterials, Advanced Engineering Materials,  24/11 (2022) Art. 2200386, 10 Seiten; 88/2022 Link
  • Straub, T.; Fell, J.; Zabler, S.; Gustmann, T.; Korn, H.; Fischer, S.C.L., Characterization of filigree additively manufactured NiTi structures using micro tomography and micromechanical testing for metamaterial material models, Materials,  16/2 (2022) Art. 676, 14 Seiten; 143/2022 Link
  • Eberl, C.; Schmidt, A.; Beckmann, W.; Koos, H., Radikale Beschleunigung - Design einer disziplinübergreifenden Innovationszelle, OrganisationsEntwicklung 4 (2021) 90-91 Link
  • Lichti, T.; Andrä, H.; Leichner, A.; Müller, R.; Wenz, F., Optimal design of unit-cell based programmable materials, PAMM 20/1 Special Issue: 91th Annual Meeting of the International Association of Applied Mathematics and Mechanics (GAMM); Kuhl, D.; Mesiter, A.; Ricoeur, A.; Wünsch, O. (Eds.); John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, NJ, USA (2021) e202000010, 2 Seiten Link
  • Schönfeld, D.; Chalissery, D.; Wenz, F.; Specht, M.; Eberl, C.; Pretsch, T., Actuating shape memory polymer for thermoresponsive soft robotic gripper and programmable materials, Molecules 26/3 (2021) Art. 522, 20 S. Link
  • Specht, M.; Berwind, M.; Eberl, C., Adaptive wettability of a programmable meta‐surface, Advanced Engineering Materials 23/2 (2021) Art. 2001037, 6 Seiten Link
  • Wenz, F.; Schmidt, I.; Leichner, A.; Lichti, T.; Baumann, S.; Andrae, H.; Eberl, C., Designing shape morphing behavior through local programming of mechanical metamaterials, Advanced Materials 33/37 (2021) Art. 2008617, 8 Seiten Link
  • Fischer, S.C.L.; Hillen, L.; Eberl, C., Mechanical metamaterials on the way from laboratory scale to industrial applications: Challenges for characterization and scalability, Materials 13/16 (2020) Art. 3605, 16 Seiten Link
  • Weisheit, L.; Wenz, F.; Lichti, T.; Eckert, M.; Baumann, S.; Hübner, C.; Eberl, C.; Andrä, H., Domänenübergreifende Workflows zur effizienten Entwicklung Programmierbarer Materialien, ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 115/7-8 (2020) 470-475 Link
  • Berwind, M.F.; Kamas, A.; Eberl, C., A Hierarchical Programmable Mechanical Metamaterial Unit Cell Showing Metastable Shape Memory, Advanced Engineering Materials 20/11 (2018) 1800771 1-6 Link
  • Nakanishi, K.; Aria, A. ; Berwind, M.; Weatherup, R. S.; Eberl, C.; Hofmann, S.; Fleck, N., Compressive behavior and failure mechanisms of freestanding and composite 3D graphitic foams, Acta Materialia 195 (2018) 187-196 Link