Eine Maßnahme zur Reduktion der CO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen ist die Erhöhung der Abgastemperatur. Für Turbinenräder des Abgasturboladers werden Werkstoffe mit hohen mechanischen Eigenschaften und Korrosionsbeständigkeit bei Temperaturen zwischen 800 und 1000 °C benötigt. Diese ursprünglich für Flugturbinen entwickelten teuren Nickelbasislegierungen enthalten Legierungselemente, die selten auf der Erde vorkommen und teilweise nur von politisch instabilen Regionen bezogen werden können. In einem vom baden-württembergischen Landesministerium für Wirtschaft und Wohnungsbau geförderten Vorhaben wurde am Fraunhofer IWM ein integrales Verfahren zur systematischen Substitution von Legierungselementen in technischen Hochtemperaturlegierungen bei gleichbleibender Funktionalität am Beispiel des Turbinenrads entwickelt und bewertet.
Intermetallische Phasen, hier γ‘-Teilchen, tragen maßgeblich zur Festigkeit von Nickelbasislegierungen bei hohen Temperaturen bei, indem sie die Versetzungsbewegungen in der Nickelmatrix behindern. Der Härtungsbeitrag zur statischen Fließgrenze hängt von der Größe und Morphologie der γ‘-Teilchen ab (Teilchenhärtung). Die Versetzungen schneiden kleinere γ‘-Teilchen und umgehen sie, wenn diese eine kritische Größe erreicht haben. Bei Temperaturen zwischen 600 und 800 °C steigt die Fließgrenze etwas an, weil Versetzungen quer durch größere γ‘-Teilchen gleiten. Der Herstellungsprozess ist darauf optimiert, verschiedene γ‘-Teilchenpopulationen gezielt auszuscheiden. Bei hohen Temperaturen setzen Diffusionsprozesse ein, die zur Vergröberung, zum Zusammenwachsen und schließlich zur Auflösung der γ‘-Teilchen führen können. Diese Mikrostrukturveränderungen führen zur Verschlechterung der Hochtemperaturfestigkeit. Weitere bedeutende Mechanismen sind die Härtung des Mischkristalls durch Fremdatome (Mischkristallhärtung) sowie durch Korngrenzen (Feinkornhärtung), welche ebenfalls als Hindernisse für mobile Versetzungen wirken.
Die temperatur- und zeitabhängige Mikrostrukturentwicklung mehrerer Nickelbasislegierungen mit unterschiedlichen Gehalten an kritischen bzw. seltenen Legierungselementen wurde systematisch untersucht. Der γ‘-Teilchenradius mehrerer Nickelbasislegierungen wurde im Ausgangszustand und nach Auslagerung im Laborofen bei 900 °C beziehungsweise bei 1000 °C zwischen einer und tausend Stunden ermittelt. Hierzu wurden im Rasterelektronenmikroskop hochaufgelöste Aufnahmen der Mikrostruktur erstellt und quantitativ ausgewertet. Ein Modell wurde erprobt, das die Fließgrenze aus den Beiträgen der Teilchen-, Mischkristall- und Feinkornhärtung einheitlich beschreibt. Die Entwicklung des Teilchenradius der γ‘-Teilchen konnte durch thermodynamisch-kinetische Berechnungen mit der Software MatCalc vorhergesagt werden und als Eingangsgröße für des Modells zur Berechnung der temperaturabhängigen Fließgrenze sowie zur Bewertung der Kriecheigenschaften genutzt werden. Zur Validierung dieses prädiktiven Modells wurden neben den mikrostrukturellen Untersuchungen auch mechanische Kennwerte mehrerer Nickelbasislegierungen ermittelt und den Vorhersagen gegenübergestellt.
Projektname: Turbosubst – Integrales Verfahren zur systematischen Substitution von kritischen und kostenintensiven Legierungselementen am Beispiel von Turbinenrädern für Abgasturbolader
Fördermittelgeber: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg
Projekt-Kennzeichen: B7-aj/792621-019
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