Bewertung von Kraftwerkswerkstoffen unter Kriechermüdungsbeanspruchung

2020

© Fraunhofer IWM

Thermische Kraftwerke müssen heutzutage und zukünftig deutlich flexibler betrieben werden, um die stark schwankende Einspeisung der erneuerbaren Energien in das Stromnetz auszugleichen. Durch diese erhebliche Änderung der Anforderungen an Kraftwerkskomponenten, die ursprünglich primär auf statische Lasten ausgelegt wurden, ist mit einem starken Einfluss der Ermüdungsbeanspruchung bzw. mit der Interaktion zwischen Kriechen und Ermüdung zu rechnen: denn durch das An- und Abfahren der Anlage werden insbesondere in den dickwandigen Komponenten thermische Spannungen induziert, die die Schädigung des Werkstoffs durch einen zusätzlichen Ermüdungsanteil beschleunigen.

Die Auslegung und Berechnung drucktragender Teile von Wasserrohrkesseln und Anlagenkomponenten wird in der Norm EN 12952-3 geregelt, allerdings ohne die Kriechermüdungswechselwirkungen zu berücksichtigen. Die Bewertung des eigentlichen Lebensdauerverbrauchs durch Kriechermüdung erfolgt nach EN 12952-4. Die derzeitige Vorgehensweise gemäß dieser Norm sieht eine lineare Akkumulation der jeweiligen Schädigungsanteile für Kriech- und Ermüdungsbelastungen vor, wobei der Kriechschädigungsanteil über die Lebensdaueranteilregel und der Ermüdungsschädigungsanteil mit Hilfe einer gemäß EN 12952-3 zu ermittelnden virtuellen Spannungsschwingbreite und einer werkstoffunabhängigen Referenzlebensdauerkurve ermittelt werden. Ein anderer Ansatz zur Bewertung des Ermüdungsschädigungsanteils basiert auf der verallgemeinerten Schadensakkumulationshypothese, wofür eine werkstoff- und belastungsabhängige Referenzlebensdauerkurve für reine Ermüdung notwendig ist.

Die Auswertung von Kriechermüdungsversuchen an kraftwerkstypischen Werkstoffen zeigt, dass die Interaktion zwischen Kriechen und Ermüdung nicht nur werkstoff- sondern auch belastungsabhängig ist, was durch die oben genannten phänomenologischen Konzepte nicht ohne Weiteres abbildbar ist. Für eine zuverlässige Lebensdauervorhersage unter Kriechermüdungsbeanspruchung wurde deshalb am Fraunhofer IWM ein auf Bruchmechanik basiertes Lebensdauermodell entwickelt, welches das Risswachstum durch Ermüdung und das Risswachstum durch Kriechen einzeln sowie deren Interaktion beschreiben kann. Die Anwendung des neu entwickelten Lebensdauermodells auf kraftwerkstypische Werkstoffe zeigt eine deutlich bessere Lebensdauervorhersage als herkömmliche Konzepte. Mit der gewählten Modellformulierung lässt sich sowohl die Lebensdauer bis zum technischen Anriss (d.h. bis zu einer Risslänge von ca. 1,5mm) als auch die Restlebensdauer rissbehafteter Bauteile unter Kriechermüdungsbeanspruchung bewerten.

 

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